„Warum soll man Kerzen nach Ritualen nicht auspusten?“
Die Kerze steht für mehr, als nur das schmelzende Wachs.
Eine Kerze ist in den meisten Ritualen eine Art Opfergabe für einen Wunsch oder ein Ziel. Kerzen die auf diese Art eingesetzt werden, sollte man unter keinen Umständen auslöschen. Man würde ja auch nicht nur ein halbes Huhn opfern (Beispiel nur zur Verdeutlichung!) und die besten Teile des Vogels aufbewahren und zum Mittag servieren. Eine Opfergabe muss auch ein Opfer sein, nicht nur ein entbehrbarer Teil.
Zusätzlich „opfert“ man so Zeit und Achtsamkeit. Vorab steckt man die Achtsamkeit in die Auswahl einer Kerze mit der passenden Brenndauer. Dann verbringt man diese Zeit mit einer rituellen Handlung oder in Meditation, man visualisiert oder schreibt vielleicht einen Brief an das Universum etc.
Wir geben in der Magie etwas, damit wir etwas bekommen.
Man nimmt nicht einfach eine beliebige Stabkerze (mit einer Brenndauer von meist etwa 8 Stunden), zaubert 10 Minuten rum und stellt diese dann (wie oft auf zweifelhaften Webseiten empfohlen) für 7,5 Stunden in die Badewanne, damit sie sicher abbrennen kann, während man schlafen geht oder gar das Haus verlässt. Die 7,5 Stunden zählen nicht zu der für das Ritual aufgebrachten Energie. Für den Erfolg eines Rituals zahlt man mit eigener Energie, also Engagement, Achtsamkeit und Hingabe. Je mehr man davon hineinsteckt, desto mehr bekommt man dafür zurück.
Sicherlich muss man die Kerze nicht ohne Unterbrechung anstarren, sobald die Ritualhandlung vorbei ist, aber sie sollte beachtet und beaufsichtigt werden, die Handlungen in ihrem Licht sollten zu dem Ziel passen. Planen, visualisieren, träumen, fühlen – nicht fernsehen, staubsaugen, telefonieren oder schlafen.
Es kann aber auch Gründe für das Auslöschen einer Kerze geben.
Manche Kerzen werden für ein bestimmtes Ziel mehrfach verwendet. Etwa wenn man ein und dieselbe Kerze immer wieder verwendet, um sich auf etwas vorzubereiten oder diese immer weniger wird und so den Ablauf einer Zeitspanne symbolisiert. Eine Kerze kann zum Beispiel auch den Anfang und das Ende einer Meditation kennzeichnen. Man entzündet die Kerze, versenkt sich in ihren Anblick und löscht die Flamme dann, um wieder in das Weltliche zurückzukehren.
Auch diese Kerzen pustet man nicht einfach aus, denn man möchte ihre Kraft wieder in sich aufnehmen, bis zur nächsten Verwendung. Aber ein kräftiger Luftzug, in dem die Flamme erlischt, hat nichts mit mir selbst zu tun, sondern verteilt ihre Kraft eher hinter ihr – manchmal inklusive Wachspritzern. Also nimmt man ein Löschhütchen (oder die leicht angefeuchteten Finger) und mit derselben Achtsamkeit, wie zuvor beim Entzünden mit einem Streichholz, löscht man die Flamme.
So nimmt man die durch die eigene Hand entstandene Flamme auch durch die eigene Hand zurück. Bis man die Kerze wieder entzündet, ist dieser Funken nun wieder in einem selbst, wieder nur ein Gedanke, eine Idee, ein Wunsch … oder eine treibende Kraft in einem selbst.
Wie man die Flamme löscht, kann auch eine rituelle Handlung sein.
Die Flamme selbst kann manchmal etwas symbolisieren, etwa die Macht einer anderen Person über mich, die ich brechen möchte. Auch diese Flamme sollte man nicht auspusten. Denn der Atem ist etwas Schöpferisches, ein Teil von einem selbst. Er wird auch häufig dazu verwendet magischen Dingen Kraft zu geben, ihnen „Leben einzuhauchen“. Viele alte Worte für „Atem“ sind identisch mit dem jeweiligen Wort für „Geist“ (etwa griechisch „pneuma“). Also hauche ich meinem symbolisierten Feind Lebensenergie zu? Nein danke! So eine Kerze sollte man dann wohl eher kopfüber in eine bereitgestellte Schüssel voll Wasser tunken oder die Flamme in etwas Sand ersticken.
Auch hier ist es – wie so oft in der Magie – wichtig, sich eine ganz eigene Meinung zu bilden. Wenn man sich überlegt, wie man selbst zu dazu steht, ob das Löschen ein wichtiger Teil der rituellen Handlung ist oder nur Mittel zum Zweck (und damit keiner besonderen Aufmerksamkeit bedarf), dann findet man auch die für einen selbst und das jeweilige Ritual passende Art und Weise, diesen Schritt auszuführen.
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